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Unklare Lage

Aktualisiert: 6. Nov.

Auf Streife mit der Polizei


Ein lautes Rauschen durchbricht die Stille im Streifenwagen. Sofort greift die Beamtin zum Funkgerät, während ihr Kollege mit geübtem Griff den Blinker setzt und den Wagen wendet. „Psychischer Ausnahmezustand – Person randaliert in Wohnung“, sagt sie knapp. Blaulicht an, Gas geben. Keine drei Minuten später stehen wir vor einem unscheinbaren Altbau irgendwo in der Millionenstadt. Vierte Etage, enge Treppe, Schweiß auf der Stirn. Die Tür ist verschlossen – und niemand weiß, was dahinter wartet.


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Für die Schutzpolizei ist das Alltag. Eine Woche lang durfte ich die Beamtinnen und Beamten bei ihren Einsätzen begleiten. Was ich dabei gesehen und gehört habe, war beeindruckend. Vieles macht mich aber auch nachdenklich.


Die Polizeiarbeit ist unglaublich vielseitig. Tiere retten, Verkehrsunfälle aufnehmen, vermisste Personen finden, Gefahrenabwehr, Durchsuchungen bis hin zu Einsätzen mit dem Spezialeinsatzkommando (SEK). Wenn eine Funkstreife gerufen wird, wissen die Beamten oft gar nicht, was genau sie am Einsatzort erwartet. Für manche Einsätze entwickeln die Beamten über die Jahre eine gewisse Routine. Doch täuschen lassen darf man sich davon nicht: Oft kamen wir an Einsatzorte, an denen die Situation zuerst eindeutig schien, sich dann aber plötzlich ganz anders darstellte. Diese Ungewissheit gehört zum Berufsalltag und verlangt ständige Wachsamkeit.


Ich habe den Beruf als sehr herausfordernd wahrgenommen. Er erfordert ein hohes Maß an Konzentration, Anpassungsfähigkeit und mentaler Belastbarkeit – Tag für Tag. Hinzu kommt ein Schichtmodell, das körperlich erschöpfend ist und eine Bezahlung, die weit unter dem liegt, was einige Polizisten in der freien Wirtschaft verdienen könnten. Und trotzdem machen die meisten Polizisten ihren Job gerne und vor allem aus Überzeugung. Doch wenn man sie fragt, was sich verbessern müsste, erhält man eine ganze Liste.


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Die Polizei steuert gerade auf 3 Millionen Überstunden zu – allein in Berlin! Das führt zu einer starken Belastung der Beamten. Die Polizei arbeitet am Limit, darf sich dabei aber natürlich keine Fehler erlauben. Besonders schwer haben es die Einsatzhundertschaften, die seit Ende der Pandemie nahezu ununterbrochen im Einsatz sind: Erst Querdenker, dann die letzte Generation und jetzt Palästina-Aktivisten.

Immer häufiger hat die Polizei bei Einsätzen nicht mit klassischer Kriminalität zu tun – sondern mit Menschen in akuten psychischen Ausnahmesituationen. Das kann zu gefährlichen Situationen führen, in denen die Beamten Entscheidungen treffen müssen, für die sie nicht ausgebildet sind. Es fehlt an flächendeckender psychosozialer Versorgung, an mobilen Krisendiensten und an dauerhaft erreichbarer fachlicher Unterstützung.


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Der Beifahrer jedes Funkwagens ist für den Funk zuständig. Er nimmt Aufträge der Leitstelle entgegen und gibt Meldungen über den Verlauf des Einsatzes ab. Das entsprechende Funkgerät dafür befindet sich aber auf der Seite des Fahrers. Wieso? Das weiß keiner. Das mag banal klingen, ist aber symptomatisch für ein grundsätzliches Problem: Die Technik und Ausrüstung der Polizei passt oft nicht zur Realität des Polizeialltags. Noch gravierender ist das im digitalen Raum: Während Kriminalität sich längst ins Internet verlagert – sei es in Form von Hassrede, Betrug oder organisierter Cyberkriminalität – fehlt es der Polizei vielerorts an Kompetenzen, Zugriffsmöglichkeiten und Ausstattung, um dem wirksam zu begegnen. Man will helfen – aber oft fehlen die technischen Mittel, die rechtlichen Werkzeuge oder einfach genug Fachkräfte. Das frustriert – und gefährdet letztlich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat.


Und dann ist da noch ein anderes Problem, das man nicht ignorieren kann, wenn man mit der Polizei unterwegs ist. In vielen Einsätzen begegnet die Polizei Personen, die keinen deutschen Pass besitzen – darunter auch Menschen, die ausreisepflichtig sind, sich aber seit Monaten oder Jahren Abschiebungen entziehen. Andere fallen durch Asylleistungsbetrug auf, bewegen sich in Grauzonen des Rechts oder zeigen – teils aus Ablehnung, teils aus Unwissen – wenig Respekt gegenüber Polizei und Staat.


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Die Beamten sind in solchen Fällen häufig frustriert, weil sie sehen, dass Verfahren nicht konsequent durchgesetzt werden. Das Gefühl, mit hohem Aufwand immer wieder auf die gleichen Personen zu treffen – ohne strukturelle Konsequenzen – führt nicht nur zu Arbeitsbelastung, sondern auch zu Vertrauensverlust in das System. Warum dauern Verfahren zu lange? Warum werden rechtskräftige Entscheidungen nicht vollzogen? Und wie schaffen wir es, Integrationswillige zu stärken – und Straftaten klar und konsequent zu verfolgen? All das sind politische Problemstellungen. Die Konsequenzen davon spüren Polizistinnen und Polizisten jeden Tag – und sie können wenig tun, um die Situation zu verbessern.


Viele Einsätze der Polizei führen in soziale Notlagen, in psychische Krisen oder an Orte, an denen andere staatliche Strukturen längst versagt haben. Die Polizei fängt auf, was woanders durchrutscht. Sie ist zu oft der letzte funktionierende Kontakt zum Staat – und darf dabei nicht allein gelassen werden.


Eine gerechte und effektive Sicherheitspolitik muss die Polizei stärken – aber darf sich nicht auf die Polizei verlassen, wo eigentlich Sozialarbeit, Bildung oder Psychologische Stellen gefragt wären.


Wenn die Polizei am Limit arbeitet, Technik veraltet ist, der digitale Raum ein blinder Fleck bleibt und rechtsstaatliche Regeln nicht durchgesetzt werden – dann stellt sich nicht nur eine organisatorische, sondern eine grundsätzliche Frage:


Wie viel ist uns unsere Sicherheit wert?

 

 
 
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