Vertrauen wächst leise
- Maximilian Gleich
- 6. Nov.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Nov.

Beobachtungen aus sechs Wochen im Staatsministerium Baden-Württemberg – über stille Erfolge, politische Verantwortung und die Kraft des Zuhörens.
Politik ist oft sehr laut: Vorwürfe in Talkshows, grelle Schlagzeilen oder hitzige Social-Media-Debatten. Doch hinter dieser lauten Oberfläche findet die eigentliche Arbeit statt – leiser, komplexer und oft erstaunlich pragmatisch. Während meines Praktikums im Staatsministerium Baden-Württemberg durfte ich vor allem diese Seite der Politik erleben.
Wie lange reden wir jetzt schon über Bürokratieabbau? Viele Jahrzehnte. Doch tatsächlich passiert hier weitaus mehr, als viele wahrnehmen. So hat das Land Baden-Württemberg beispielsweise mit der Entlastungsallianz eine Initiative geschaffen, bei der Ministerien, Kommunen und Verbände gemeinsam daran arbeiten, Verfahren zu vereinfachen und unnötige Hürden abzubauen – und das mit großem Erfolg.
Doch es gilt nicht nur unnötige Bürokratie abzubauen. Gleichzeitig muss auch der Verwaltungsapparat neu aufgestellt werden. Das betrifft vor allem Themen wie Digitalisierung oder Führungskultur – heutzutage Voraussetzungen für effizientes Arbeiten. Genau damit beschäftigt sich die Abteilung für Verwaltungsmodernisierung. Dort wird erklärt, wie man funktionierende Modelle aus der Wirtschaft auch in die Verwaltung übernehmen kann. So sollen unnötig komplexe Strukturen vermieden und schnellere Entscheidungen ermöglicht werden. Diese Aufgabe ist nicht immer leicht, aber dafür umso wichtiger.
Denn was es bedeutet, wenn diese Strukturen an ihre Grenzen stoßen, hat man in den letzten Jahren immer wieder gesehen: Lange Schlangen vor Ausländerämtern, Menschen, die Monate oder gar Jahre im Unklaren gelassen werden, was ihre Aufenthaltsgenehmigung betrifft.
Wie herausfordernd politisches Handeln sein kann, zeigt sich an der Migrationspolitik besonders deutlich. Kaum ein anderes Feld vereint so viele Erwartungen, Emotionen und Zuständigkeiten – und kaum irgendwo ist das Spannungsfeld zwischen politischem Anspruch und administrativer Realität so sichtbar.
Seit einiger Zeit werden wieder mehr Menschen aus Deutschland abgeschoben. Das ist zunächst nicht falsch. Zum einen, weil unsere Strukturen mit der großen Zahl der Menschen, die in den letzten Jahren zu uns kamen, überlastet sind, zum anderen, weil sich Menschen im Land befinden, die Straftaten begangen haben und ausreisepflichtig sind.
Wenn man sich aber genauer anschaut, wer da eigentlich abgeschoben wird, zeichnet sich ein durchwachsenes Bild: Während meiner Zeit im Ministerium durfte ich mich mit einigen Fällen näher beschäftigen. Es fällt auf, dass immer häufiger auch gut integrierte Menschen abgeschoben werden. Junge Männer, die vor vielen Jahren nach Deutschland kamen, die Sprache lernten und sie inzwischen einwandfrei beherrschen, einer Arbeit nachgehen oder sich in der Ausbildung befinden. Selbst hochqualifizierte Fachkräfte, die wir gerade jetzt so dringend bräuchten, sorgen sich wegen des politischen Drucks um ihre Aufenthaltsgenehmigungen. Die Abschiebungen von Straftätern gelingen hingegen noch immer viel zu selten. Auch wenn das zynisch klingen mag, ergibt das durchaus Sinn. Wenn pauschal mehr abgeschoben werden soll, ist es natürlich einfacher, den Lehrling, der jeden Morgen brav um 5:30 Uhr in der Bäckerei steht, aufzuspüren, als den Straftäter, der kurz nach der Tat untergetaucht ist.
Solche Fälle sind nicht nur menschlich schwer zu ertragen, sie sind auch wirtschaftlich unsinnig. Gut integrierte, arbeitende Menschen abzuschieben, während Straftäter im Land bleiben, macht Deutschland nicht sicherer. Es schwächt das Vertrauen in den Rechtsstaat und schadet der Wirtschaft, die dringend auf Zuwanderung angewiesen ist. Politik darf sich nicht damit zufriedengeben, Handlungsfähigkeit nur zu simulieren – sie muss sie herstellen. Nur so kann sie Vertrauen zurückgewinnen.
Vertrauen wächst leise. Zwischen Menschen, in Begegnungen, in der Art, wie Verantwortung gelebt wird. Oft entsteht es dort, wo Politik ganz unpolitisch wirkt.
Das zeigt sich an einem Morgen im September, fernab der Landeshauptstadt. Der Chef der Staatskanzlei fährt zu einem Termin nach Biberach. Ich darf ihn begleiten. Wir besuchen eines jener Unternehmen, die Baden-Württemberg seit Generationen prägen. Hinter den Glasfassaden des Pharmakonzerns wird geforscht, gerechnet, verworfen, neu gedacht. Zwölf Jahre dauert es im Schnitt, bis aus einer Idee ein Medikament wird. Zwölf Jahre, in denen niemand weiß, ob es jemals auf den Markt kommen wird. Und doch wird investiert, ausprobiert, weitergemacht. Es ist dieser stille Optimismus, der Hoffnung macht, der Glaube daran, dass sich Beharrlichkeit und Erfindergeist auszahlen.
Herr Krauss geht durch die Produktionshallen, schüttelt Hände, hört zu, fragt nach. Kein Protokoll, keine großen Gesten, nur ehrliches Interesse. Draußen weht ein kühler Wind, die Bäume beginnen sich zu färben.
Später am Nachmittag fahren wir zurück Richtung Stuttgart. Die Straße windet sich durch die Weinberge, mein Blick schweift hinüber zur Grabkapelle auf dem Württemberg. Unten im Tal rauscht der Verkehr, dort oben ist es still. Der Wind streicht durch die Weinreben, das Licht ist weich, fast golden. Württemberg hat vieles erlebt – Aufbruch und Umbruch, helle Zeiten und dunkle Tage. Und doch bleibt dieser Hügel bestehen, ruhig und gelassen.
Ein Blick, der Trost spendet in bewegten Zeiten – auf ein Land, das vieles kann, solange es den Mut behält, sich immer wieder neu zu erfinden.
Foto: Stuttgart Marketing GmbH, Goldamsel Film





